Oberverwaltungsgericht Münster klärt Berücksichtigungsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten bei der Festsetzung von Elternbeiträgen

EinkommensberechnungDas Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 22. Mai 2015 (Az. 12 A 1075/14) für das Land Nordrhein-Westfalen geklärt, dass Kinderbetreuungskosten in den meisten Fällen auch nach 2011 bei der Feststellung des Einkommens zu berücksichtigen sind, auf dessen Grundlage Elternbeiträge für Kindertageseinrichtungen festgesetzt werden. Damit steht jedenfalls bis auf weiteres fest, dass die hiervon abweichende Praxis vieler Kommunen – auch im Rheinland – rechtswidrig ist. Grundsätzlich können beitragspflichtige Eltern daher die Kosten für die Kinderbetreuung einkommensmindernd geltend machen und auf diese Weise u. U. die Einstufung in eine günstigere Beitragskategorie erreichen.

Seit einer Änderung des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum Jahr 2012 sind Kinderbetreuungskosten steuerlich nur noch als Sonderausgaben berücksichtigungsfähig. Die kommunalen Satzungen, auf deren Grundlage Teilnahme- oder Kostenbeiträge für die Inanspruchnahme von Angeboten in der Kindertageseinrichtungen, also die sog. „Elternbeiträge“ (vgl. § 23 Abs. 1 des Kinderbildungsgesetzes [KiBiz]), erhoben werden, verweisen allerdings zumeist auf die Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG als Grundlage für entsprechende Beitragsfestsetzungen. Das hatte zur Folge, dass von kommunaler Seite seit dem Jahr 2012 verbreitet die Auffassung vertreten wurde, Kinderbetreuungskosten würden das maßgebliche Einkommen nicht verringern. Denn steuerrechtlich werden die Sonderabgaben erst nach Bestimmung der Einkünfte berücksichtigt (siehe § 2 Abs. 4 EStG), während Kinderbetreuungskosten zuvor oftmals wie Werbungskosten oder Betriebskosten abzugsfähig waren und so bereits zu niedrigeren Einkünften führten. Der steuerrechtliche und der elternbeitragsrechtliche Einkommensbegriff fallen insoweit also auseinander. Das hatte potentiell schwerwiegende Folgen für die betroffenen Eltern. Denn gerade auch wegen der Elternbeiträge kann es sich bei den jährlichen Kinderbetreuungskosten ohne weiteres um deutlich vierstellige Beträge handeln. Werden diese nicht einkommensmindernd berücksichtigt, kann das daher zur Einstufung in eine höhere Beitragskategorie führen und damit höhere Elternbeiträge von mehreren Hundert Euro jährlich zur Folge haben.

Mit Urteil vom 7. April 2014 (Az. 19 K 5817/13) hat das Verwaltungsgericht Köln zwar bereits entschieden, dass die kommunale Sichtweise in vielen Fällen unzutreffend ist. Das Gericht war davon ausgegangen, dass für Satzungen, die vor der hier relevanten Änderung des Einkommensteuerrechts in Kraft getreten sind, oftmals die frühere Rechtslage maßgeblich bleibt. Unabhängig von den Änderungen im EStG blieb es nach dieser Entscheidung also dabei, dass Kinderbetreuungskosten häufig bereits die Einkünfte und damit auch das elternbeitragsrechtliche Einkommen verringern (siehe zum Ganzen ausführlich den „Rheinisches Ortsrecht“-Beitrag „Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten bei der Festsetzung von Elternbeiträgen für Kindertageseinrichtungen (u. a. in Bonn, Leverkusen und Wesseling)“ v. 28.4.2014). Ungeklärt blieb jedoch u. a., was für solche Elternbeitragssatzungen gilt, die erst nach der hier relevanten Änderung des Einkommensteuerrechts in Kraft getreten sind. Darüber hinaus handelte es sich nur um eine erstinstanzliche Entscheidung, der von kommunaler Seite verbreitet eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung abgesprochen wurde.

Mit dem nun vorliegenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster sind diese für die Praxis unerfreulichen Einschränkungen nunmehr weitgehend hinfällig. Das für das Land Nordrhein-Westfalen zuständige Obergericht musste auf die Berufung einer Kommune hin ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf überprüfen. In der hier relevanten Frage hat das Münsteraner Gericht die Bedenken der Kommune (und insoweit auch die Berufung) zurückgewiesen. Dabei ließ das Gericht offen, ob für die einschlägige Elternbeitragssatzung das frühere oder das ab 2012 geltende Einkommensteuerrecht maßgeblich ist. Denn in beiden Fällen waren die Kinderbetreuungskosten seines Erachtens einkommensmindernd zu berücksichtigen (Rn. 27).

Insoweit bestätigte das Oberverwaltungsgericht in der Sache zunächst das oben genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Köln: Nehme man an, dass die Elternbeitragssatzung auf das vor 2012 geltende Einkommensteuerrecht verweist, seien Kinderbetreuungskosten (in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen und von höchstens 4.000,00 Euro je Kind) bei der Ermittlung der Einkünfte (insbesondere bei nicht selbständiger Tätigkeit) wie Werbungskosten bzw. (insbesondere bei selbständiger Tätigkeit) wie Betriebausgaben abzuziehen (Rn. 28).1 Damit ist nun obergerichtlich geklärt, dass Kinderbetreuungskosten bei der Bestimmung des elternbeitragsrelevanten Einkommens grundsätzlich einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, wenn die einschlägige Elternbeitragssatzung (statisch) auf den Begriff der Einkünfte nach dem EStG in seiner früheren Fassung (vor 2012) verweist.

Das Oberverwaltungsgericht hat den von ihm zu entscheidenden Fall aber zum Anlass genommen, weitergehend auch die Konstellation zu entscheiden, in der es auf das EStG nach der hier relevanten Gesetzesänderung zum Jahr 2012 ankommt. Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen die einschlägige Elternbeitragssatzung auf die jeweils aktuelle Fassung des EStG verweist (dynamische Verweisung), oder in denen die Satzung überhaupt erst nach dem Jahr 2011 in Kraft getreten ist. Streitig war hier, ob die seinerzeit neugeschaffene Regelung in § 2 Abs. 5a S. 2 EStG dazu führt, dass Kinderbetreuungskosten (weiterhin) einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, obwohl sie steuerrechtlich für die Höhe der Einkünfte nicht mehr relevant sind. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

„Knüpfen außersteuerliche Rechtsnormen an die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Begriffe (Einkünfte, Summe der Einkünfte, Gesamtbetrag der Einkünfte) an, mindern sich für deren Zwecke diese Größen um die nach § 10 Absatz 1 Nummer 5 abziehbaren Kinderbetreuungskosten.“

Von kommunaler Seite wurde verbreitet geltend gemacht, dass die einschlägigen Elternbeitragssatzungen zur Bestimmung des elternbeitragsrelevanten Einkommens ausschließlich auf die Definition der Einkünfte in § 2 Abs. 1 und 2 EStG, aber gerade nicht auf § 2 Abs. 5a S. 2 EStG verweisen, so dass letztgenannte Vorschrift überhaupt nicht anwendbar sei. Darüber hinaus könne der für das Einkommensteuerrecht zuständige Bundesgesetzgeber nicht den Einkommensbegriff der kommunalen Elternbeitragssatzungen bestimmen, die nicht seiner Zuständigkeit unterlägen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat diese Bedenken nun mit deutlichen Worten zurückgewiesen. Es hat festgestellt, dass es sich bei den einschlägigen Satzungsbestimmungen um außersteuerliche Rechtsnormen im Sinne von § 2 Abs. 5a S. 2 EStG handele (hierzu und zum Folgenden Rn. 32). Die Kinderbetreuungskosten seien daher bei der Ermittlung des elternbeitragsrelevanten Einkommens mindernd zu berücksichtigen.

Die Vorschrift erfasse schon nach ihrem Wortlaut nicht nur bundesrechtliche Regelungen (hierzu und zum Folgenden Rn. 33). Außerdem sollte mit ihr verhindert werden, dass sich durch die steuerrechtliche Neuregelung der Kinderbetreuungskosten Veränderungen in den außersteuerlichen Bereichen ergeben, in denen auf den Begriff der Einkünfte nach § 2 EStG Bezug genommen wird. Das spreche ebenfalls nicht für eine Beschränkung des Anwendungsbereiches. Unerheblich sei demgegenüber, ob die Elternbeitragssatzung selbst auf § 2 Abs. 5a S. 2 EStG verweise, da die Vorschrift ja gerade solche Fälle erfassen soll, in denen die außersteuerliche Rechtsnorm nur auf § 2 Abs. 1 und 2 EStG Bezug nimmt (Rn. 53).

Der Bundesgesetzgeber verfüge auch über die nötige Kompetenz, um auf diese Weise Einfluss auf die Elternbeitragserhebung zu nehmen (Rn. 38). Da die Vorschrift den Bedeutungsgehalt einkommensteuerrechtlicher Begriffe definiere, handele sich ihrem Wesen nach trotz der Auswirkungen in außersteuerlichen Bereichen um eine steuerrechtliche Norm (Rn. 43). Damit stehe dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) zu (Rn. 39). Diese Begründung dürfte nicht unbedingt zwingend sein, da § 2 Abs. 5a S. 2 EStG ausdrücklich eine Regelung für „außersteuerliche Rechtsnormen“ trifft, was es nicht ohne weiteres nahelegt, in der Vorschrift eine steuerrechtliche Norm zu sehen.

Die Frage kann aber letzten Endes offenbleiben. Denn das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung insoweit auch auf einen zweiten Argumentationsstrang gestützt. Selbst wenn sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht aus seiner Steuerkompetenz ergeben sollte, so das Gericht, sei der Bund für die Gesetzgebung im Bereich der Elternbeitragserhebung zuständig, weil sich aus seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für die öffentliche Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG die Zuständigkeit zur Regelung der Kosten für den Besuch von Einrichtungen zur Kinderbetreuung ergebe (Rn. 44 ff.). Wie § 90 Abs. 1 S. 4 des achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) zeige, erstrecke sich diese Kompetenz auch auf Vorgaben zur Bestimmung des elternbeitragsrelevanten Einkommens (Rn. 48). Dieser Argumentationsansatz überzeugt ohne weiteres.

Da mit § 2 Abs. 5a S. 2 EStG auch nicht das Konzept und die Zielrichtung der Elternbeitragserhebung nach § 90 SGB VIII verändert, sondern vielmehr versucht werden sollte, den vor der Änderung der steuerlichen Behandlung von Kinderbetreuungskosten bestehenden Zustand möglichst zu erhalten, habe der Bund überdies von seiner (nur) konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch machen können (Rn. 51). Auf die Frage, ob die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine solche bundesgesetzliche Regelung erforderlich machte (Art. 72 Abs. 2 GG), kam es aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts vor diesem Hintergrund nicht an (Rn. 49).

Zu guter Letzt schränke die Anwendbarkeit von § 2 Abs. 5a S. 2 EStG auch nicht die Satzungshoheit der Kommunen unangemessen ein (hierzu und zum Folgenden Rn. 54). Denn durch die Verweisung auf das Einkommensteuerrecht habe der betroffene Satzungsgeber dem Bundesgesetzgeber selbst ermöglicht, in erheblichem Maße das elternbeitragsrelevante Einkommen zu definieren. So hätte der Bundesgesetzgeber dasselbe Ergebnis auch durch eine entsprechende Änderung von § 2 Abs. 1 und 2 EStG erreichen können. Es sei nicht ersichtlich, dass er sich eine in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlich andere Definitionsmacht angemaßt hätte, indem er stattdessen den Weg über § 2 Abs. 5a S. 2 EStG gewählt hat. Auch diese Argumentation ist gleichermaßen einleuchtend wie überzeugend.

Damit steht nun für Nordrhein-Westfalen bis auf weiteres fest, dass in den meisten praktisch relevanten Konstellationen Kinderbetreuungskosten bei der Bestimmung des elternbeitragsrelevanten Einkommens zu berücksichtigen sind. Obwohl das Oberverwaltungsgericht Münster die Revision nicht zugelassen hat (Rn. 59), kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die betroffene Kommune versuchen wird, den Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht weiter zu gehen. Ansatzpunkt hierfür könnte realistischerweise nur die Frage sein, ob das Oberverwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 2 Abs. 5a S. 2 EStG auch auf einkommensrelevante Regelungen in kommunalen Elternbeitragssatzungen erstreckt. Dabei erscheint allerdings zumindest die Argumentation des Gerichts über das Recht der öffentlichen Fürsorge in den meisten Punkten überzeugend und auch im Ergebnis zumindest sehr gut vertretbar. Aber selbst, wenn die kommunale Seite noch eine Korrektur der nun vorliegenden Rechtsprechung erreichen könnte, ware offen, ob sich das im Ergebnis überhaupt nennenswert zu ihren Gunsten auswirken würde. Es spricht nämlich viel dafür, dass ein Satzungsgeber, der in Kenntnis von § 2 Abs. 5a S. 2 EStG auf § 2 Abs. 1 und 2 EStG verweist, damit selbst die Berücksichtigungsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten anordnet (vgl. dazu bereits den „Rheinisches Ortsrecht“-Beitrag „Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten bei der Festsetzung von Elternbeiträgen für Kindertageseinrichtungen (u. a. in Bonn, Leverkusen und Wesseling)“ v. 28.4.2014).


1. An der genannten Stelle bezieht sich das OVG Münster nur auf die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben. Wie sich aus dem Gesamtkontext der Entscheidung – und insbesondere auch der nachfolgenden Rn. 29 – ergibt, handelt es sich insoweit aber nur um ein redaktionelles Versehen, geht das Gericht also davon aus, dass etwa bei nicht selbständiger Tätigkeit erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten auch wie Werbungskosten von den entsprechenden Einkünften abgezogen werden können.