Zum 8. Mai 2015 sind die bei den Kommunen beschäftigten Erzieher bundesweit einem Streikaufruf der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di), des Beamtenbundes (dbb) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefolgt. Seitdem werden insbesondere Kindertagesstätten in z. T. erheblichem Umfang bestreikt. Das betrifft gerade auch das Rheinland. In Städten wie Köln oder Bonn haben manche Einrichtungen bereits seit mehr als einer Woche geschlossen. Eine Fortsetzung des Streiks nach Pfingsten ist angekündigt. Aus ortsrechtlicher Sicht interessant ist hierbei die Frage, wie sich der Streik auf die Pflicht zur Zahlung von Elternbeiträgen nach § 23 Abs. 1 S. 1 des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) auswirkt. Gemeinhin liest man, dass Streiks als „höhere Gewalt“ anzusehen seien, so dass kein Anspruch auf eine zumindest anteilige Rückzahlung der Elternbeiträge bestehe, eine solche vielmehr nur freiwillig von manchen Gemeinden geleistet werde.1 Das ist bei Lichte betrachtet eine erstaunliche Behauptung: Sicherlich entfällt die Verpflichtung zu einer Leistung grundsätzlich bei höherer Gewalt. Dass derjenige, der die Leistung (hier: Kinderbetreuung) aus diesem Grund nicht mehr erbringen muss, seinen Anspruch auf die Gegenleistung (hier: Zahlung des Elternbeitrags) dann aber trotzdem in vollem Umfang behält, ist eher die Ausnahme als die Regel. Demzufolge lohnt es sich, die ortsrechtliche Situation etwas genauer zu betrachten.
Rechtsprechung zu dieser Frage liegt, soweit ersichtlich, jedenfalls für das nordrhein-westfälische Landesrecht bislang nicht vor oder ist zumindest nicht veröffentlicht. Verbreitet wird von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen berichtet, das für die dortige Rechtslage im Nachgang des Kita-Streiks 2006 im Jahr 2007 entschieden habe, dass für eine Rückerstattung der Elternbeiträge eine Rechtsgrundlage fehle.2 Dieses Urteil ist jedoch, soweit sich das erkennen lässt, ebenfalls nicht veröffentlicht. Ohnedies wäre eine Entscheidung des Bremer Verwaltungsgerichts für die Beurteilung der Rechtslage im Rheinland nicht maßgeblich.
Aber nicht nur in der Rechtsprechung, auch in der juristischen Fachliteratur finden sich kaum Äußerungen zu der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Pflicht zur Zahlung von Elternbeiträgen bei einer streikbedingten Schließung der Kindertageseinrichtung entfällt. Die Kommentare zu § 23 Abs. 1 S. 1 KiBiz schweigen hierzu. Und auch in den Kommentaren zu § 90 des achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII), der bundesrechtlichen Grundlage von § 23 Abs. 1 S. 1 KiBiz, wird die Frage praktisch nicht behandelt. Lediglich in einem der Kommentare findet sich die Aussage, dass „die Verpflichtung zur Zahlung des Kostenbeitrags im Falle eines Kita-Streiks [entfalle], da Voraussetzung der Kostenbeteiligung in der Regel [sei], dass eine Leistung erbracht wird“; auch seien „Regelungen einer Weiterzahlung bei Ausfallzeiten (z. B. Ferien) … analog nicht anwendbar, da dem öffentlichen Jugendhilfeträger in der Streikzeit keine Personalkosten entstehen“.3 An anderer Stelle wird versucht, den Schutzgedanken aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), dem zufolge jenseits geringfügiger Leistungsstörungen das Recht auf die Gegenleistung nicht unabhängig von der Leistungserbringung selbst vorbehalten bleiben darf, auch für das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen den Kommunen und den beitragspflichtigen Eltern fruchtbar zu machen.4
Das Meinungsbild in der juristischen Fachliteratur erweist sich somit im Ausgangspunkt als (aus Perspektive der betroffenen Eltern) hoffnungsvoller als der üblicherweise in der allgemeinen Presse zu findende Hinweis auf das Fehlen eines Rückzahlungsanspruchs. Bei genauerer Betrachtung dürfte jedoch eine differenziertere Einschätzung geboten sein.
1. Regelung in der Elternbeitragssatzung
Möglich ist zunächst, dass sich aus der jeweiligen kommunalen Satzung Anhaltspunkte für einen Rückzahlungsanspruch ergeben.5 In den Elternbeitragssatzungen des vorliegend betrachteten „Rheinischen Ortsrechts“ ist das allerdings, soweit bei einer ersten Durchsicht erkennbar, nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Elternbeitragssatzungen im Rheinland enthalten eine Regelung, der zufolge die Beitragspflicht durch Schließungszeiten der Betreuungseinrichtung nicht berührt wird.6 Das dürfte auch außerplanmäßige Schließungszeiten aufgrund streikbedingter Personalausfälle umfassen.
2. Gesetzliche Grundlagen
Enthält die einschlägige Elternbeitragssatzung keinen Anhaltspunkt für einen Rückzahlungsanspruch oder schließt einen solchen sogar aus, stellt sich aber immer noch die Frage, ob sich ein derartiger Anspruch nicht aus höherrangigem Landes- oder Bundesrecht ergibt. Das wäre möglicherweise der Fall, wenn man mit der eingangs zitierten Literaturmeinung der Auffassung wäre, dass ein Kostenbeitrag nur bei Erbringung der kostenverursachenden Leistung gefordert werden kann,7 oder wenn man die Wertung aus dem AGB-Recht übernimmt, wonach jedenfalls jenseits nur geringfügiger Leistungsstörungen auch die Pflicht zur Gegenleistung bei arbeitskampfbedingtem Leistungsausfall entfällt. Im Ausgangspunkt vielversprechend erscheint außerdem die Rechtsprechung zum Gebührenrecht. Dieser zufolge kann jedenfalls bei im Voraus erhobenen (Benutzungs-) Gebühren ein Anspruch auf Gebührenermäßigung bestehen, wenn eine Leistungsstörung von einem gewissen Gewicht vorliegt.8 Auf den Grund der Minderleistung kommt es dabei nicht an,9 so dass auch bei streikbedingtem Leistungsausfall ein Erstattungsanspruch des Gebührenpflichtigen bestehen kann.
Alle diese Ansätze dürften jedoch nicht ohne weiteres mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Elternbeiträgen in Nordrhein-Westfalen vereinbar sein. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster sind Elternbeiträge nämlich insbesondere keine Gebühren im abgabenrechtlichen Sinne, sondern sozialrechtliche Abgaben eigener Art.10 Da sie die Kosten der jeweiligen Einrichtungsart nur zu einem ganz geringen Teil decken sollen, während die Finanzierung überwiegend durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und das Land Nordrhein-Westfalen erfolgt, treten sie nach Auffassung der Rechtsprechung in ihrer Bedeutung hinter diese staatlich finanzierte Leistungsgewährung zurück und werden deshalb lediglich als die staatliche Leistungsgewährung reduzierende Minderungsposten angesehen.11 Damit fehlt es an der spezifischen Verknüpfung zwischen den Elternbeiträgen und der Betreuungsleistung, die bei einer Leistungsstörung ohne weiteres zu einem Rückforderungsanspruch führen würde.
Allerdings werden Elternbeiträge auch nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster nicht ohne individuelle Gegenleistung erhoben, sondern für die Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen und den damit verbundenen Vorteil der staatlichen Förderung (Betreuung, Erziehung und Bildung).12 Zwar reicht wegen der nur auf eine geringfügige Deckung gerichteten Funktion der Elternbeiträge nach Auffassung des Gerichts das Bereithalten eines Betreuungsangebotes inklusive der Zurverfügungstellung der Räumlichkeiten, des Betreuungspersonals usw. in der Regel für eine Gleichgewichtigkeit zwischen Elternbeiträgen und öffentlicher Förderung von Kindern in Kindertagesstätten aus.13 Das Oberverwaltungsgericht Münster hat jedoch auch bereits darauf hingewiesen, dass abweichend hiervon in extremen Ausnahmefällen Leistungsstörungen wie eine Schlecht- oder vorübergehende Nichtleistung das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als nicht mehr äquivalent erscheinen lassen mögen.14 Im Zusammenhang mit Elternbeiträgen für die Betreuung in der Offenen Ganztagsschule (OGS) hat das OVG Münster entschieden, dass Leistungsstörungen wegen Schlecht- oder Nichterfüllung (erst) dann zwingend zu einer Ermäßigung oder Aufhebung der Abgabenfestsetzung führen, wenn das Ausgleichsverhältnis zwischen Abgabe und Wert der Verwaltungsleistung „gröblich“ gestört ist.15
Es dürfte damit nicht richtig sein, wenn bisweilen der Eindruck erweckt wird, es bestehe unter keinen Umständen eine Pflicht zur Rückzahlung von Elternbeiträgen bei streikbedingter Schließung von Kindertageseinrichtungen. Die entscheidende Frage ist aber, wann ein „extremer Ausnahmefall“ bzw. eine „gröbliche Störung“ als Voraussetzung für einen Rückzahlungsanspruch gegeben ist. Bei einer Schließung der Kindertageseinrichtung für die Dauer einiger Tage und wohl auch weniger Wochen wird das voraussichtlich noch nicht der Fall sein.16 Je länger die Nichtleistung anhält, desto eher dürfte aber von einer solchen gravierenden Störung des Ausgleichsverhältnisses auszugehen sein. Bleiben einzelne Kindertageseinrichtungen streikbedingt wochenlang geschlossen, wird also u. U. gerichtlich zu klären sein, ob dann das Verhältnis von Elternbeitragszahlung und Bereitstellung von Kindertageseinrichtungen so erheblich gestört ist, dass hier eine Herabsetzung bzw. ein zeitweiser Erlass der Elternbeiträge rechtlich geboten ist.
Hierbei könnte als rechtlicher Anhaltspunkt auch eine Rolle spielen, dass nach § 13e Abs. 2 S. 3 KiBiz die Anzahl der jährlichen Schließtage (ohne Samstage, Sonntage und Feiertage) dreißig Öffnungstage nicht überschreiten darf. Das betrifft zwar unmittelbar nur den Umfang der (Leistungs-) Verpflichtung zur Kinderbetreuung, die wegen des Streiks unmöglich geworden ist. Es verdeutlicht aber auch, dass der Gesetzgeber für eine ordnungsgemäße Erfüllung des am Kindeswohl orientierten Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrags (§ 3 Abs. 1 KiBiz) einen gewissen Mindestbetreuungsumfang für erforderlich hält. Diese gesetzliche Vorgabe könnte daher dafür sprechen, von einer hinreichend schwerwiegenden Störung des Ausgleichsverhältnisses jedenfalls dann auszugehen, wenn es durch streikbedingte Ausfälle zu einer wesentlichen höheren Zahl an Schließungstagen (als 30) kommt.
Nicht verschwiegen werden soll zu guter Letzt noch, dass es auch eine spezielle Rechtsgrundlage gibt, die zu einer Rückzahlung von Elternbeiträgen führen kann Nach § 90 Abs. 2 SGB VIII können Elternbeiträgen nämlich vollständig oder teilweise erlassen werden, wenn sie unzumutbar sind. Für Eltern, die von dem laufenden Kindergartenstreik betroffen sind, ist diese Vorschrift aber keine große Hilfe. Denn die Unzumutbarkeit ist in aller Regel nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern zu beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat (zu einer entsprechenden Vorschrift des älteren Landesrechts) zwar auch nicht ausschließen wollen, dass die Erhebung von Elternbeiträgen aufgrund von Leistungsstörungen auf der Seite des Anbieters unzumutbar sein kann,17 wozu dann evtl. auch Betreuungsausfälle wegen Streiks gehören könnten. Diese Möglichkeit hat das Gericht allerdings nur für den Fall in Betracht gezogen, dass aufgrund längerfristiger Ausfälle der jeweilige Betreuungsauftrag in dem jeweiligen Jahr letztlich nicht mehr erfüllt werden kann.18 Es ist zu hoffen, dass der Streik so lange nicht dauern wird.
Nachtrag 15.7.2015: Am 24. Juni 2015 erhielten wir über das Kontaktformular folgende Anmerkung zu obigem Beitrag:
„Sehr geehrter Herr Neumann,
nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen vom 20.03.1995 7 K 6120/92 kommt eine Erstattung von Elternbeiträgen nicht in Betracht.
Im Übrigen sollte nicht vergessen werden, dass das OVG Münster in seiner ständigen Rechtsprechung immer wieder betont hat, dass es sich bei den Elternbeiträgen um Beiträge sui generis handelt und nicht um Gebühren.
Eine Erstattung kommt nur auf freiwilliger Basis in Betracht, sofern die Kommunen sich nicht im HSK oder im Nothaushalt befinden.
Mit freundlichen Grüßen“
Da die Nachricht bedauerlicherweise keinerlei Kontaktangaben oder Absenderinformationen und noch nicht einmal den Namen des Verfassers enthielt (vgl. zu diesem Problem erneut den Beitrag „In eigener Sache: Anfragen und Kontaktaufnahme“ v. 24.1.2015), soll auf die angesprochenen Punkte an dieser Stelle kurz eingegangen werden.
Sehr erfreulich ist zunächst der Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 20. März 1995 (Az. 7 K 6120/92). Diese bislang – soweit ersichtlich – nicht veröffentlichte und auch in der Kommentarliteratur nicht erwähnte Entscheidung befasst sich in der Tat mit den Auswirkungen streikbedingter Betreuungsausfälle auf die Pflicht zur Zahlung von Elternbeiträgen. Wir haben diese Entscheidung mittlerweile beschafft und dokumentieren sie hier in anonymisierter Form.
In dem Urteil folgt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den im obigen Beitrag dargestellten Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung: Da die Elternbeiträge die Betriebskosten der Tageseinrichtungen nur zu einem ganz geringen Teil decken, handele es sich bei ihnen lediglich um die staatliche Leistungsgewährung reduzierende Minderungsposten (S. 6). Vor diesem Hintergrund richte sich die Beitragspflicht nicht nach dem „Wert der Leistung“ bzw. dem Umfang der Inanspruchnahme der Tageseinrichtung, so dass die streikbedingten Ausfälle in dem dortigen Fall nicht zu Kürzungen der zu zahlenden Elternbeiträge führten (S. 7).
Allerdings ging es seinerzeit auch lediglich um fünf Streiktage, wohingegen im Jahr 2015 manche Tageseinrichtungen streikbedingt für mehrere Wochen schließen mussten. Demzufolge ließ das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausdrücklich die Frage offen, ob es sich entgegen seiner Einschätzung im konkreten Fall auf den Umfang der Pflicht zur Zahlung von Elternbeiträgen auswirkt, wenn ein grobes Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen vorliegt (S. 7). Genau an eine solche „gröbliche Störung“ des Ausgleichsverhältnisses knüpfen die Erwägungen in vorstehendem Beitrag aber an. Die nun dankenswerterweise benannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen steht somit vollständig im Einklang mit den Überlegungen, die in vorliegendem Artikel angestellt werden. Sie schließt es insbesondere nicht aus, dass bei längeren Ausfallzeiten Elternbeiträge ggf. zu erstatten sind, sondern hat diese Frage gerade offengelassen.
Soweit in der anonymen Reaktion auf den vorstehenden Beitrag darüber hinausgehend daran erinnert wird, dass es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster bei den Elternbeiträgen um Beiträge sui generis – also: eigener Art – handelt und nicht um Gebühren, steht auch das im Einklang mit den hiesigen Erwägungen. In dem obigen Artikel wird schließlich gerade unter Hinweis auf diese Rechtsprechung der bisweilen vertretenen Auffassung widersprochen, dass die Pflicht zur Zahlung von Elternbeiträgen – jenseits einer Bagatellgrenze – bei arbeitskampfbedingtem Ausfall der Betreuungsleistung entfällt. Entscheidend ist vielmehr, dass es das Oberverwaltungsgericht trotz seiner Auffassung zur Rechtsnatur von Elternbeiträgen in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich für möglich gehalten hat, dass jedenfalls in besonderen Ausnahmefällen eine vorübergehende Einstellung der Betreuungsleistung zu einem entsprechenden Wegfall auch der Elternbeitragspflicht führen kann. In einem solchen Fall käme dann aber auch gerade nicht nur eine Erstattung bereits gezahlter Elternbeiträge auf freiwilliger Basis in Betracht, sondern bestünde ein entsprechender Erstattungsanspruch, unabhängig von der finanziellen Situation der betroffenen Kommune. Diese Kernaussage des vorstehenden Beitrags wird in der anonymen Mitteilung leider übersehen. Auf sie ist daher vorsorglich noch einmal deutlich hinzuweisen.