Rechtswidrige Satzungsregelungen zur pauschalen Kostenerstattung bei Feuerwehreinsätzen in vielen Gemeinden (u. a. Leverkusen, Hürth und Siegburg)

FeuerwehrDie Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sind nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG) NRW verpflichtet, leistungsfähige Feuerwehren zu unterhalten, „um Schadenfeuer zu bekämpfen sowie bei Unglücksfällen und bei solchen öffentlichen Notständen Hilfe zu leisten, die durch Naturereignisse, Explosionen oder ähnliche Vorkommnisse verursacht werden“. Einsätze dieser Feuerwehren sind nach § 41 Abs. 1 FSHG NRW zwar grundsätzlich unentgeltlich. In einer Vielzahl von Fällen können die Gemeinden aber nach § 41 Abs. 2 FSHG NRW Ersatz der Kosten verlangen, die ihnen durch einen Einsatz entstanden sind. Das betrifft u. a. die Fälle, in denen jemand einen Brand u. ä. vorsätzlich herbeigeführt hat (Nr. 1) oder in denen jemand vorsätzlich grundlos die Feuerwehr alarmiert (Nr. 8). Es betrifft aber auch z. B. Feuerwehreinsätze, die auf den Betrieb von Kraft-, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeugen (Nr. 3) oder auf die Beförderung von Gefahrstoffen bzw. wassergefährdenden Stoffen zurückzuführen sind (Nr. 4). § 41 Abs. 3 S. 1 FSHG NRW erlaubt es den Gemeinden, bei der Schaffung entsprechender Kostenersatzregelungen Pauschalbeträge festzulegen. Von dieser Möglichkeit machen die Gemeinden üblicherweise Gebrauch. Viele dieser Satzungsregelungen stehen aber nicht im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung.

Mit Beschluss vom 15. September 2010 (Az. 9 A 1582/08) hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass eine Satzungsregelung, der zufolge für jede angefangene Stunde des Feuerwehreinsatzes der volle Kostenersatztarif für eine Einsatzstunde (Stundensatz) zu entrichten ist, gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt.1 Bei Anwendung einer solchen Regelung würden nämlich „wesentlich ungleiche Sachverhalte ohne sachlich einleuchtende Gründe gleich behandelt werden und – umgekehrt – Normadressaten anders behandelt werden, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung ihrem Maße nach rechtfertigen könnten“ (Rn. 16). Die Berechnung des vollen Stundensatzes für jede angefangene Einsatzstunde habe einerseits zur Folge, dass Einsätze trotz erheblich abweichender Dauer kostenmäßig gleichgestellt würden, etwa Einsätze von 61 Minuten Dauer und Einsätze mit einer Dauer von 119 Minuten. Anderseits fehle auch eine Rechtfertigung dafür, dass sich bei einem Einsatz, der die Stundengrenze nur um wenige Minuten überschreitet, der Kostensatz verdoppelt. Das sich hieraus ergebende Gleichbehandlungsproblem lasse sich auch nicht durch eine Billigkeitsklausel auffangen, da es sich bei der Anwendung einer derartigen Satzungsregelung vielfach und nicht nur ausnahmsweise stelle (Rn. 19).

Nach wie vor sehen allerdings einige Satzungen der nordrhein-westfälischen Gemeinden des Rheinlands vor, dass für jede angefangene Einsatzstunde der volle Stundensatz berechnet wird. Das betrifft etwa:

Der Gleichheitsverstoß, von dem angesichts der skizzierten Rechtsprechung bei diesen Satzungsregelungen auszugehen ist, hat gravierende Konsequenzen. Nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 15. September 2010 (Az. 9 A 1582/08) hat die Nichtigkeit der Regelung zur Berechnung des vollständigen Stundensatzes für jede angefangene Einsatzstunde wegen ihrer erheblichen Auswirkungen auf das Tarifgefüge und angesichts der bestehenden Ausgestaltungsspielräume des Satzungsgebers die Gesamtnichtigkeit der betreffenden Satzung zur Folge (Rn. 20 ff.). Damit fehlt entsprechenden Gebührenbescheiden die erforderliche Rechtsgrundlage, so dass sie in einem Gerichtsverfahren vollständig aufzuheben wären.2 Das Gericht hat in seiner Entscheidung allerdings auch bereits den Weg gewesen, der aus seiner Sicht rechtlich noch gangbar ist, ohne dass auf eine zeitliche Pauschalierung ganz verzichtet werden müsste: Es hat nämlich darauf hingewiesen, dass eine auf Zeitabschnitte von 15 Minuten bezogene Abrechnung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar wäre (Rn. 22 f.).

Die meisten Gemeinden haben ihre Satzungen daher entsprechend ausgestaltet bzw. (mittlerweile) angepasst. In vielen Satzungen findet sich allerdings noch eine Sonderregelung für die erste Einsatzstunde. Während für die Abrechnung der Folgestunden ein Minuten-, Viertelstunden- oder Halbstundentakt maßgeblich ist, wird danach für die erste Einsatzstunde weiterhin der volle Stundensatz zugrunde gelegt bzw. als Mindestsatz der Satz für eine Stunde erhoben. Derartige Regelungen finden sich z. B. in

Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 (Az. 9 A 4/12) hat das Oberverwaltungsgericht Münster aber auch eine pauschale Inrechnungstellung der ersten Einsatzstunde als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gewertet. Durch die volle Anrechnung der ersten Einsatzstunde unabhängig vom tatsächlichen zeitlichen Aufwand würden nämlich wesentlich ungleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund gleich behandelt, z. B. ein fünfzehnminütiger Einsatz gegenüber einem Einsatz von 59 Minuten Dauer (Rn. 8). Es sei nicht ersichtlich, warum der tatsächliche Zeitaufwand nicht genauer abgerechnet werden könnte (Rn. 10). Auch der Hinweis auf einen abstrakten höheren zeitlichen Grundaufwand für die erste Einsatzstunde – sog. „Vorhaltekosten“ – komme als Rechtfertigung nicht in Betracht (Rn. 11 ff.). Mit dieser Rechtsprechung dürften die genannten Satzungsregelungen5 voraussichtich nicht im Einklang stehen.

Fraglich ist jedoch, ob auch in diesen Fällen von einer Gesamtnichtigkeit der jeweiligen Satzungen auszugehen ist. Da für die Folgestunden eine zeitgenauere Regelung getroffen wurde,6 dürfte hierin eine zeitliche Pauschalierung zu sehen sein, die der Satzungsgeber auch für die erste Einsatzstunde getroffen hätte, wäre ihm die Rechtswidrigkeit der diesbezüglichen Vorschrift bewusst gewesen. Auch die Auswirkungen auf das Tarifgefüge dürften insoweit deutlich geringer ausfallen als bei einer Aufhebung der zeitlichen Pauschalierung für alle Einsatzstunden. Auf dieser Grundlage erscheint es denkbar, dass sich die Nichtigkeit als Folge des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz auf die Regelung zu den Kosten der ersten Einsatzstunde beschränkt. Damit wären auch die Kosten für die erste Einsatzstunde nach dem Takt abzurechnen, den die jeweilige Satzung für die Folgestunden vorsieht. Ausdrücklich entschieden hat das Oberverwaltungsgericht Münster diese Frage aber bislang, soweit ersichtlich, noch nicht. Die betroffenen Gemeinden wären daher gut beraten, wenn sie ihre Satzungen entsprechend anpassen.

Nachtrag 26.3.2014: Einemmittlerweile veröffentlichten (Prozesskostenhilfe-) Beschluss des OVG Münster vom 19. August 2013 (Az. 9 A 1556/12) lässt sich entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht entgegen der in Fn. 4 genannten Rechtsprechung des VG Düsseldorf auch eine Berechnung auf der Grundlage eines halbstündigen Taktes für rechtswidrig wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG hält (Rn. 6). Damit dürfte weiterer Korrekturbedarf für eine Vielzahl von Gemeinden im Rheinland bestehen.


1. Entsprechend für das Berliner Recht das OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.2.2011 – Az. 1 B 73.09, Rn. 25 ff. Für das Land Niedersachsen hält das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in Abgrenzung zur Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg eine Abrechnung jedenfalls im Halbstundentakt für zulässig, siehe OVG Lüneburg, Urt. v. 28.6.2012 – Az. 11 LC 234/11, Rn. 61.
2. Das VG Köln, Urt. v. 25.11.2011 – Az. 27 K 5148/09, Rn. 26 ff., hat allerdings die Möglichkeit bejaht, die nötige Rechtsgrundlage durch den Erlass einer rückwirkenden Satzungsänderung nachträglich wieder herzustellen.
3. Nachtrag 3.11.2015: Mittlerweile wurde das einschlägige Ortsrecht geändert. Die Satzung über die Erhebung von Kostenersatz und Gebühren für die Leistungen der Feuerwehr der Stadt Dormagen (Feuerwehrsatzung) vom 4. November 2014 sieht keine besondere Regelung für die erste Einsatzstunde mehr vor.
4. Nachtrag 29.2.2016: Mittlerweile wurde das einschlägige Ortsrecht in Monheim am Rhein geändert. Nach § 3 Abs. 2 S. 6 und Abs. 3 S. 4 der Satzung über die Feuerwehr der Stadt Monheim am Rhein (Feuerwehrsatzung) vom 17.12.2015 erfolgt nun eine minutengenaue Abrechnung ohne Sonderregelung für die erste Einsatzstunde.
5. Bei einzelnen der Satzungsregelungen ist nicht ganz klar, ob die zeitliche Pauschalierung für die erste Einsatzstunde auch den Kostenersatz oder nur (sonstige) Gebühren betrifft, da sie sich ausdrücklich nur auf Gebühren und nicht auch auf die Kostenerstattung beziehen, vgl. § 5 Abs. 3 S. 1 der Satzung über die Erhebung von Kostenersatz und Gebühren bei Einsätzen und freiwilligen Leistungen der Feuerwehr der Stadt Hilden vom 9. November 2001 sowie § 3 Abs. 3 S. 1 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für Leistungen der Feuerwehr der Stadt Monheim am Rhein vom 22. Dezember 1995 (lokales Archiv). Aus dem Gesamtkontext der betreffenden Satzungen dürfte sich aber ergeben, dass es sich hierbei nur um eine redaktionelle Ungenauigkeit handelt und die Regelungen gerade auch den Kostenersatz erfassen sollten.
6. Dabei soll hier dahinstehen, ob die verbreitet vorgefundenen Halbstundentarife noch mit Art. 3 Abs. 1 GG übereinstimmen, was angesichts des deutlichen Hinweises des Oberverwaltungsgerichts Münster auf einen Viertelstundentakt durchaus zweifelhaft erscheint und in der Rechtsprechung anderer Bundesländer unterschiedlich beantwortet wird. Eine entsprechende Taktbildung jedenfalls bei einer Berechnung der Einsatzzeiten vom Ausrücken bis zum Wiedereintreffen der Mannschaften, Fahrzeuge und Geräte für zulässig erachtend allerdings VG Düsseldorf, Urt. v. 1.6.2012 – Az. 26 K 6326/11, Rn. 34 ff.