Mehrere Sondernutzungssatzungen im Rheinland sehen in ihren Gebührentarifen eine Sondernutzungsgebühr für das Befahren der Gemeindestraßen zum Zwecke der digitalen bzw. fotografischen Aufnahme bzw. Datenerhebung oder einen vergleichbaren Gebührentatbestand vor. Derartige Regelungen, die sich z. B. in Alfter, Bergisch Gladbach und Bonn finden, zielen auf die Erfassung der Gemeindestraßen für Kartenzusatzdienste wie Googles „StreetView“ oder „Bing Streetside“ von Microsoft ab.
Sondernutzungsgebühren können allerdings – offensichtlich – nur erhoben werden, wenn es bei dieser Erfassung zu einer Sondernutzung der Gemeindestraßen kommt (vgl. § 19a Abs. 1 S. 1 des Straßenwegegesetzes [StrWG] für das Land Nordrhein-Westfalen). In tatsächlicher Hinsicht erfolgt die Erfassung der Gemeindestraßen, indem der jeweilige Anbieter die Gemeindestraßen mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen abfahren lässt, auf denen (zumeist auf dem Dach) Kameras montiert sind, die 360-Grad-Aufnahmen von den Straßen und den umliegenden Grundstücken anfertigen. Es ist zweifelhaft, ob es sich hierbei um eine Sondernutzung im straßenrechtlichen Sinne handelt, oder nicht um einen bloßen Gemeingebrauch, also die Nutzung der „öffentlichen Straßen … im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften“ (§ 14 Abs. 1 S. 1 StrWG NRW). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt kein Gemeingebrauch vor, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt.1 Es wäre dann von einer Sondernutzung auszugehen, da es sich hierbei um die „Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus“ (§ 18 Abs. 1 S. 1 StrWG NRW) handelt.
Rechtsprechung zu der Frage, ob die Befahrung von Straßen zur Erfassung für Kartenzusatzdienste in diesem Sinne als Sondernutzung oder als Gemeingebrauch zu qualifizieren ist, liegt bislang, soweit ersichtlich, noch nicht vor.2 Für eine andere Form der Straßennutzung, die sog. „Bier-Bikes“, hat das Oberverwaltungsgericht Münster zwar in Anwendung der Grundsätze aus der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 23. November 2011 (Az. 11 A 2325/10) entschieden, dass die dortige „Zweckbestimmung der Verkehrsvorgänge … als verkehrsfremd zu qualifizieren“ sei (Rn. 44). Diese Einschätzung, für die das Oberverwaltungsgericht die Billigung durch das Bundesverwaltungsgericht gefunden hat3, dürfte aber nicht auf Kamerafahrten zur Erfassung der Gemeindestraßen für Kartenzusatzdienste übertragbar sein. Das Gericht hat nämlich maßgeblich darauf abgestellt, dass ein „Bier-Bike“ aus Sicht eines objektiven Beobachters schon nach seinem Erscheinungsbild nicht die Funktion eines Verkehrsmittels erfülle, sondern sich „nur unwesentlich von einer außengastronomischen Stätte oder sonstigen Veranstaltungsplattform im öffentlichen Verkehrsraum“ unterscheide, als welche es auch von seinem Betreiber angeboten werde (Rn. 44). Vergleichbare Aussagen sind in Bezug auf die hier relevanten Kamerafahrten nicht möglich: Die Kamerafahrzeuge erfüllen auch aus Sicht eines objektiven Betrachters die Funktion eines Verkehrsmittels, das gerade benötigt wird, um die aufmontierten Kameras durch die Gemeindestraßen zu bewegen.
Aus diesem Grund wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur, soweit ersichtlich, praktisch einhellig die Auffassung vertreten, dass sich solche Kamerafahrten im Rahmen des Gemeingebrauchs bewegen, sie also als solche keine Sondernutzung sind.4 Die meisten Kommunen teilen diese Einschätzung.5 Für sie dürfte auch sprechen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einzig darauf ankommt, ob der (Haupt-) Zweck der Straßennutzung darin besteht, eine Ortsveränderung zum Personen- oder Güterverkehr durchzuführen, während die Motive für diese Ortsveränderung im Allgemeinen keine Rolle spielen.6 Die Kamerafahrten werden durchgeführt, um eine Ortsveränderung der Kamera zu bewirken. Dass dies dem (außerverkehrlichen) Zweck dient, Aufnahmen für einen Kartenzusatzdienst anzufertigen, dürfte als bloßes Motiv der Ortsveränderung unbeachtlich sein. Dies könnte plakativ durch einen Vergleich mit einem Autofahrer gestützt werden, der eine Straße nur deshalb abfährt, weil er sich seine künftige Wohngegend ansehen und über seine Eindrücke später im Familienkreis berichten möchte. Eine solche Straßennutzung dürfte ersichtlich dem Gemeingebrauch zuzuordnen sein, ohne dass sich hieran etwas ändern dürfte, wenn ein Beifahrer auch für Dritte erkennbar Fotos oder Videoaufnahmen von der Umgebung fertigt.7
Hält man mit dem juristischen Schrifttum eine solche Einschätzung auch bei den Kamerafahrten für zutreffend, würde es sich nicht um Sondernutzungen handeln. Die Erhebung von Sondernutzungsgebühren käme dann nicht in Betracht; diesbezügliche Gebührentatbestände in entsprechenden Satzungen wären rechtswidrig. Interessanterweise haben sogar einige der Kommunalverwaltungen in den Gemeinden, in denen der örtliche Gebührentarif um einen einschlägigen Tatbestand ergänzt wurde, die Auffassung geteilt, dass die Kamerafahrten nicht als Sondernutzungen zu qualifizieren sind.8
Allerdings erscheint auch eine andere Auffassung auf Grundlage der bislang vorliegenden Rechtsprechung zu anderen Formen der Straßennutzung nicht völlig ausgeschlossen. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht – wenn auch vor über 40 Jahren – entschieden, dass das Befahren einer Straße mit einem als Werbeträger verwendbaren Kraftfahrzeuganhänger alleine zum Zwecke der Werbung eine Sondernutzung sei.9 Es hat dies auf die Erwägung gestützt, dass der betreffende Straßennutzer „keine Ortsveränderung an[strebe], um sich selbst oder andere an eine andere Stelle zu transportieren, sondern er … nur deshalb am Straßenverkehr teil[nehme], um seine Werbung zu betreiben“. Weiter hat das Gericht ausgeführt: „Die Beförderung seiner Person ist gar nicht gewollt im Gegensatz zu dem, der spazieren fährt, auch wenn er kein bestimmtes Ziel hat, sondern ergibt sich zwangsläufig aus der besonderen Art dieser Verkehrswerbung.“ Es erscheint durchaus möglich, diese Argumentation auf den Fall der Kamerafahrten zur Erfassung von Gemeindestraßen für Kartenzusatzdienste zu übertragen: Auch hier nehmen die Fahrer der Kamerafahrzeuge nur deshalb am Straßenverkehr teil, um ihre Aufnahmen zu tätigen, wobei sich die Personenbeförderung zwangsläufig aus der besonderen Art dieser Erfassung von Straßenraum ergibt.10
In der juristischen Literatur ist eine solche Übertragung zwar mit dem Argument verneint worden, dass es bei reinen Werbezwecken „nicht primär um Ortsveränderung“ gehe, sondern um das Betreiben von Werbung, „was gleichermaßen auch statisch oder andernorts geschehen könnte“.11 Dieses Argument scheint aber nicht sonderlich belastbar zu sein, hatte das Bundesverwaltungsgericht doch ausdrücklich auf die „besonder[e] Art dieser Verkehrswerbung“, also der mobilen Werbung, abgestellt. Diese kann eben nicht statisch und nur insoweit andernorts geschehen, als dann die dortige Verkehrsfläche in Anspruch genommen würde.12 Mehr dürfte dafür sprechen, dass die damalige Entscheidung in der Sache unzutreffend war, und zwar entsprechend der oben genannten Überlegung, wonach die Straßennutzung auch im Falle der mobilen Verkehrswerbung gerade dem Zweck einer Ortsveränderung – nämlich des Werbeanhängers – dient und das Betreiben der Werbung nur ein unbeachtliches Motiv für diese Ortsveränderung ist.
Aber selbst wenn man entgegen der ganz herrschenden Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur Kamerafahrten zur Erfassung der Gemeindestraßen für Kartenzusatzdienste als Sondernutzung einstufen wollte,13 bestünden doch durchgreifende Bedenken gegen die vorliegenden Gebührentatbestände. Zwar wäre dann die Erhebung einer Sondernutzungsgebühr dem Grunde nach rechtlich möglich. Bei der Gebührenbemessung sind allerdings nach § 19a Abs. 2 S. 3 StrWG NRW „Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch sowie das wirtschaftliche Interesse des Gebührenschuldners zu berücksichtigen“. Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch unterscheiden sich bei Kamerafahrten, die in normaler Fahrgeschwindigkeit und ohne zusätzliche Halte oder andere Besonderheiten erfolgen, nicht nennenswert von einer normalen Befahrung der Straße. Im Gegensatz zu Werbeanhängern nimmt eine auf dem Fahrzeug montierte Kamera auch keine zusätzliche Verkehrsfläche ein. Lediglich der Luftraum über dem Straßenkörper (siehe § 2 Abs. 2 Nr. 2 StrWG NRW) wird geringfügig zusätzlich in Anspruch genommen. Unter diesem Gesichtspunkt wären bestenfalls minimale Sondernutzungsgebühren rechtlich zulässig. Die entsprechenden Gebührentarife sehen jedoch relativ hohe Sätze vor, oftmals von 20 Euro pro angefangenem Kilometer Gemeindestraße14 und in Bergisch Gladbach sogar in Höhe von 100 Euro pro angefangenem Straßenkilometer15. Derartige Sondernutzungsgebührentatbestände dürften außer Verhältnis zu Art und Ausmaß der (bestenfalls minimalen) Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch stehen und u. U. bereits deshalb rechtswidrig sein.
Doch sogar wenn man unterstellt, dass das ebenfalls zu berücksichtigende wirtschaftliche Interesse an der Sondernutzung oder weitere, grundsätzlich berücksichtigungsfähige16 Gesichtspunkte im Ergebnis evtl. geeignet wären, Sondernutzungsgebühren in dieser Höhe zu rechtfertigen, bestünden doch erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der betreffenden Gebührentatbestände. Denn jedenfalls in einzelnen Fällen wurden diese Gebührentatbestände zur „Vermeidung der befürchteten Verletzungen des Datenschutzes und der Privatsphäre“ eingeführt.17 Es sollte also nicht – wie eigentlich straßenrechtlich vorgesehen18 – eine Gegenleistung für die über den Gemeingebrauch hinausgehende Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums bemessen werden. Stattdessen ging es darum, die betreffenden Straßennutzungen zu verhindern oder zumindest wesentlich zu erschwerden. Eine solche Zwecksetzung – die Verhinderung der Straßennutzung – steht schon für sich genommen schwerlich im Einklang mit den straßenrechtlichen Vorgaben in § 19a Abs. 2 S. 3 StrWG NRW.
Jedenfalls aber dürften die weitergehenden Ziele des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre, die hinter der beabsichtigten Verhinderung bzw. Erschwerung der Straßennutzung stehen, keine Kriterien sein, die bei der Bemessung einer Sondernutzungsgebühr berücksichtigt werden können. Derartige Kriterien müssen nämlich in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Zweck der Satzungsermächtigung und dem Wesen der Sondernutzung stehen.19 Hieran dürfte es fehlen, da der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre bestenfalls in einer sehr losen Verbindung zu einer Abgeltung der Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums stehen.20
Dessen ungeachtet ist in den öffentlich dokumentierten Fällen oftmals auch nicht ersichtlich, dass eine nachvollziehbare Abschätzung des wirtschaftlichen Interesses der Anbieter an den Kamerafahrten erfolgt ist. Vielmehr handelt es sich bei den Gebührensätzen im Wesentlichen um „gegriffene“ Werte. Damit erscheint auch die ebenfalls landesrechtlich vorgegebene Berücksichtigung dieses Aspekts zweifelhaft, selbst wenn ihm insoweit Rechnung getragen wurde, als im Falle einer gemeinnützigen Erfassung der Gemeindestraßen die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung vorgesehen ist.
Vielmehr ist den vorliegenden Äußerungen aus den einschlägigen Rechtssetzungsverfahren ein bemerkenswertes Rechtsstaatsverständnis zu entnehmen, auf dessen Grundlage das Straßenrecht bewusst zu einem Instrument zweckentfremdet wird, mit dem – z. T. entgegen der ausdrücklichen Einschätzung der zuständigen Kommunalverwaltung – außerstraßenrechtliche Zwecke verfolgt werden. Es darf bezweifelt werden, dass das hieraus resultierende Ortsrecht einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten würde.